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Digitaler Wandel im Verlag: Qualitätssicherung im Fokus

In der aktuellen Boost-your-Content-Staffel tauchen wir in das Thema Qualitätssicherung ein, ein zentrales Anliegen nicht nur in Printprodukten, sondern auch im digitalen Raum. Carsten Oberscheid, Geschäftsführender Gesellschafter der doctronic GmbH & Co. KG, erläutert, warum Qualitätssicherung im digitalen Umfeld unverzichtbar ist, wie Verlage von Softwareentwicklungswerkzeugen profitieren können und welche Herausforderungen und Lösungen sich in diesem Kontext bieten. Das Ziel? Den hohen Qualitätsanspruch der traditionellen Verlagswelt auf digitale Produkte zu übertragen und sich den sich stetig wandelnden Anforderungen der Nutzer anzupassen.

Die Fragen stellte Ehrhardt Heinold

Die neue Boost-your-Content-Staffel beschäftigt sich mit dem Thema Qualitätssicherung. Das Thema klingt ein bisschen dröge, hat aber nicht nur aus Ihrer Erfahrung heraus für den Erfolg von digitalen Verlagsprodukten eine hohe Relevanz. Warum?

Verlage messen in ihrem traditionellen Produktionsprozess für Printprodukte der Qualität einen hohen Stellenwert zu. Redaktion, Lektorat, Korrektorat, Herstellung – da gibt es ganze Berufsbilder, bei denen Qualität und Qualitätssicherung im Mittelpunkt stehen. Letztendlich ist dies neben der physischen Produktion sowie der Vermarktung ein wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfung, aus denen Verlage ihre Existenzberechtigung ziehen. Das gilt heute mehr denn je, nicht zuletzt im Wettbewerb mit Self-Publishing-Plattformen und der Open-Access-Bewegung.

Diesen Qualitätsanspruch auf digitale Verlagsprodukte zu übertragen, ist eine Herausforderung, denn die Qualitätskriterien sind andere, und es kommen ganz neue Aspekte hinzu.

Ein Beispiel: Bei gedruckten Werken steht neben der inhaltlichen und sprachlichen Korrektheit die Darstellung, also der Satz, im Vordergrund. Schon hier, bei der Darstellung der Inhalte, folgen Onlineprodukte, so sie nicht einfach Print-PDFs ausliefen, ganz anderen Spielregeln. Statt eines statischen, manuell feinjustierten Umbruchs werden die Texte automatisch und dynamisch formatiert, passen sich der Fenstergröße und der vom User eingestellten Vergrößerung an. Darauf muss man sich zur Bewertung, was gut ist und was nicht, erst einmal einstellen. Wer ein Berufsleben lang nach allen Regeln der Kunst Umbruchkorrektur gemacht hat, muss umlernen.

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Carsten Oberscheid

Carsten Oberscheid begleitet als Mitgründer und Geschäftsführer des Technologiedienstleisters Doctronic seit über 20 Jahren Fachverlage aller Größenordnungen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer digitalen Produkte und Geschäftsmodelle. Seine Beratungsthemen umfassen die Konzeption digitaler Verlagsprodukte, B2B-Vertriebsmodelle und –Zugriffssteuerung sowie die Optimierung von Vertriebs- und Produktionsprozessen.

Die Reihe wird drei Aspekte dieses Themas beleuchten: die Testautomatisierung für das User Interface, das Testen der Usability und die Verwendung von Nutzungsanalysen zur Produktverbesserung. Wie kommen genau diese drei Themen auf die Agenda?

 

Fachverlags-Onlineprodukte sind Softwareanwendungen. Das gilt für Onlinepublikationen mit ihren Funktionen zur Suche und Navigation sowie zahlreichen anderen Features zur Arbeit mit den Inhalten. Es gilt erst recht für digitale Arbeitshilfen, Rechner und Assistenzprodukte, wo die Funktionalität selbst das Produkt ist.

Diese Funktionalität und das Verhalten des Produkts in der Nutzer-Interaktion sind Qualitätsaspekte, die über die Printproduktion hinausgehen. Die drei Themen unserer Reihe sind Werkzeuge aus der Softwareentwicklung, von denen auch Verlage mit ihren Onlineprodukten profitieren können. Sie wirken auf unterschiedlichen Ebenen und ergänzen sich sehr gut.

Neben dem Content trägt vor allem die Usability zum Erfolg bei, weil erst bei der Nutzung die Produkterfahrung entsteht. Wie sollte ein Verlag vorgehen, um eine nutzerorientierte Usability nicht nur beim Launch, sondern permanent zu gewährleisten?

 

Zunächst ist es auch bei der Erstumsetzung immer noch alles andere als selbstverständlich, die Gebrauchstauglichkeit eines Digitalprodukts überhaupt durch Usability Engineering abzusichern. Das einzuführen ist ein wichtiger Schritt.

Das gängigste Werkzeug in diesem Kontext ist der Usability Test. Doch Usability Tests sind immer Momentaufnahmen. Wie kommen die Menschen, die daran teilnehmen, in ihrem jetzigen Kontext bei den getesteten Aufgaben mit dem jetzigen Zustand des Produkts zurecht? Diese Dinge ändern sich mit der Zeit,und ein Usability Test kann immer nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Arbeitsalltag abbilden.

Deshalb ist es empfehlenswert, geeignete Maßnahmen – der Usability Test ist nur eine von mehreren – zur Optimierung der Nutzungsqualität fest in die laufende Produktpflege zu verankern und so breit aufzustellen, dass sie das gesamte relevante Aufgabenspektrum der Anwender:innen abdecken.

Die Auswertung von Nutzerdaten wird in vielen Verlagen in erster Linie für die Optimierung der Website verwendet. In der Boost-your-Content-Reihe wollen wir weitergehend fragen, wie diese Daten konkret zur Produktverbesserung und -weiterentwicklung eingesetzt werden können. Über welche Daten sprechen wir hier und wie können diese Analysen zur Verbesserung beitragen?

Wenn in einem Onlineprodukt ein harter Fehler auftritt, der die Arbeit unterbricht und das Produkt unbrauchbar macht, werden Sie das als Anbieter sehr schnell erfahren, weil verärgerte Kunden Sie daran erinnern, woher die Hotline ihren Namen hat.

Oft sind aber Probleme, die die Arbeit mit einem Online-Tool beeinträchtigen, subtiler. Sie werden von Anwender:innen manchmal gar nicht bewusst wahrgenommen und durch Workarounds umschifft. Für die Kundenzufriedenheit ist das trotzdem nicht gut.

Eine systematische Analyse des Nutzerverhaltens kann helfen, solchen Dingen auf die Spur zu kommen. Die Erwartung, wie ein Produkt genutzt wird, welche Wege die User nehmen und wo sie hin wollen, kann man mit den aufgezeichneten Nutzungsdaten abgleichen. 

Stellt man fest, dass unerwartet viele User sich anders verhalten und ein bestimmtes Feature anders nutzen als erwartet, dann weiß man zwar noch nicht, warum das so ist, aber man hat eine konkrete Fragestellung, der man dann mit anderen Mitteln weiter nachgehen kann – zum Beispiel mit einem gezielten Usability Test.

So kann man natürlich auch diesseits der Fehlersuche vorgehen, um den Erfolg neuer Features oder der Nutzerführung in einem Produkt zu überprüfen.

Schön daran ist, dass man für solche Auswertungen keine personenbezogenen Daten braucht. Das geht mit vollständig anonymisierten Aufzeichnungen, ist also ausgesprochen datenschutzbeauftragtenfreundlich.

Zur Qualitätssicherung gehört auch das Testen - eine wichtige, aber sehr mühsame und unzuverlässige Aufgabe, wenn sie von einem Menschen ausgeführt werden muss. Was leistet die von Ihnen entwickelte Testautomatisierung? Muss hier bei richtiger Handhabung gar nicht mehr von Hand getestet werden?

Man muss unterscheiden zwischen spontanen und systematischen Tests. Der spontane Test ist ein kreativer Prozess. Man denkt sich einen Use Case aus, der vielleicht sehr realistisch ist, vielleicht aber auch gezielt in Grenzbereiche geht, um das System aufs Glatteis zu locken. Man schaut sich das Verhalten der Software an und lässt sich davon zum nächsten Schritt inspirieren. Das ist ein sehr wertvolles Testverfahren, das sich nicht automatisieren lässt. Es ist aber auch ein Verfahren, das nur Ausschnitte eines komplexen Produkts abdeckt und das nicht gut skaliert.

Wenn es darum geht, die Korrektheit eines solchen Produkts in einer sich verändernden Umgebung dauerhaft sicherzustellen, braucht man etwas anderes. Dann sind umfangreiche Tests gefragt, die gezielt für den Funktionsumfang des Produkts konzipiert und systematisch immer und immer wieder durchgeführt werden. 

Umfangreiche Tests von Hand ständig zu wiederholen, idealerweise täglich und dann noch in verschiedenen Systemumgebungen, ist nicht nur sehr teuer, sondern auch eine sehr undankbare Arbeit und sehr fehleranfällig, weil die menschliche Aufmerksamkeit so etwas gar nicht gerne mag. Spontane Kreativität ist in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv.

Für Programmierer ist Testautomatisierung Alltag. „Wenn Du eine Funktion schreibst, schreib einen Test dazu“ ist in vielen Softwareprojekten eine stehende Regel. Für die Benutzeroberfläche, für die Darstellung dessen, was die programmierten Funktionen ausspucken und für das Verhalten einer Anwendung ist Testautomatisierung noch nicht selbstverständlich. Die große Komplexität der dafür vorhandenen Tools ist dafür nicht der einzige Grund, aber durchaus einer von mehreren.

Mit der Test-O-Matic haben wir zunächst für den Eigenbedarf ein Tool für solche UI-Tests entwickelt, das Online- und Softwareprodukte weitestgehend so bedient und betrachtet wie ein Mensch. Das erlaubt eine Automatisierung und Skalierung dieser öden Arbeit, behält aber den Charakter eines manuellen Tests weitgehend bei und führt so zu denselben Ergebnissen. Diese Ergebnisse werden in einem immer gleichen, immer vollständigen Testprotokoll dokumentiert.

Diese Art von Tests muss man damit nicht mehr manuell machen. Tatsächlich findet das in der Praxis aber auch kaum statt, so dass Test-O-Matic weniger dazu dient, manuelle Arbeit zu ersetzen, als eine Ebene der Qualitätssicherung überhaupt erst einzuführen, die manuell niemand machen und bezahlen will.

Wo liegen Ihrer Erfahrung nach die größten Hürden bzw. Herausforderungen bei der Etablierung einer kontinuierlichen Qualitätssicherung?

Eine Hürde ist die Einstellung „Wir sind doch kein Softwareanbieter, wir sind ein Verlag“. Einzusehen, dass man mit Digitalprodukten, auch wenn es Contentprodukte sind, eben doch zum Softwareanbieter wird und sich den damit verbundenen Herausforderungen stellen muss, fällt vielen Verlagen schwer. Dort sieht man das gerne als alleinige Aufgabe der technischen Dienstleister, aber außer in einigen ganz einfachen Szenarien funktioniert das so nicht.

Weitere Hürden sind dann der Aufbau der notwendigen Kompetenzen und die Einführung geeigneter Werkzeuge sowie der Wille und die Beharrlichkeit, es auch tatsächlich zu tun. Das setzt natürlich ganz wesentlich den Willen voraus, dafür Budget bereitzustellen.

Wenn das passiert, dann in der Regel projektbezogen. Dass unabhängig von konkreten Implementierungsprojekten dauerhaft Ressourcen und Infrastruktur für Online-QS bereitgestellt werden, sehen wir in Verlagen – selbst in Verlagen mit sehr intensivem Digitalgeschäft – bislang noch nur sehr selten.

Sie haben für alle drei Themen Tools und Lösungen entwickelt. Wie sind die Erfahrungen dazu mit den Verlagen? Gibt es eine zunehmende Bereitschaft, diese Themen nicht nur wahrzunehmen, sondern konkret anzupacken?

Die Bereitschaft ist definitiv da, und das Interesse wächst, auch wenn der Gedanke, Software-QS als Kostenfaktor in die Produktentwicklung und -pflege einzukalkulieren, immer noch für viele gewöhnungsbedürftig ist.

Wir setzen diese Werkzeuge aber auch in unserer eigenen Produktentwicklung ein. Unsere Test-O-Matic zur UI-Testautomatisierung ist ursprünglich nur für den Eigenbedarf entstanden, nach einer genialen Idee meines Kollegen Ingo Küper. Der Gedanke, das auch unseren Kunden anzubieten, kam erst später dazu. Dort stößt das jetzt auf reges Interesse, denn laufende manuelle Tests sind sehr aufwändig und unzuverlässig.

Insgesamt folgen wir mit diesen Angeboten unserer Tradition, mit Lösungen in Vorleistung zu gehen. Wenn unsere Kunden das Thema für sich entdecken, können wir helfen.

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